„Ich wollte einfach frei sein.“

Torsten Giese berichtet am ASG über seine abenteuerliche Flucht aus der DDR

Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls konnte das ASG einen profunden Zeitzeugen für einen Vortrag und eine anschließende Gesprächsrunde gewinnen: Torsten Giese (57) erzählte aus eigener Anschauung vor Schülerinnen und Schülern unserer 10. Klassen von der gefährlichen Flucht zu zweit über die Trave bei Lübeck.

Seit seinem 17. Lebensjahr hatte er seine Flucht aus der DDR generalstabsmäßig geplant und dabei alle – auch Stasi und NVA-Führung – über seine wahren Absichten getäuscht. Um die Möglichkeiten auszukundschaften, meldete er sich für die Grenztruppen. Erschwerend kam hinzu, dass er unbedingt seinen besten Freund mitnehmen wollte. Schon bei Nacht in die Sperrzone einzudringen und den geeigneten Grenzabschnitt zu finden, ohne entdeckt zu werden, stellte ein hohes Risiko dar. Anschaulich und spannend berichtete Torsten Giese dann von der Überwindung der eigentlichen Grenzsperranlagen, die nur aufgrund seiner genauen Kenntnisse der Verhältnisse und der Reaktionen der Grenztruppen gelang. Denn das versehentliche Auslösen eines Signals am inneren Grenzzaun rief die Bewacher auf den Plan und zwang zum Improvisieren. Sehr lebendig schilderte Giese die psychische Ausnahmesituation zwischen Hoffen und Todesangst, denn als „Fahnenflüchtigem“ hätten ihm härteste Strafen gedroht: Es musste gelingen, auch den äußeren Zaun zu übersteigen, um in die Trave zu kommen (genauer: in den Dassower See). Der gehörte bereits zur BRD und Giese wusste als Grenzsoldat, dass die DDR-Soldaten dorthin nicht schießen würden. Für die Flucht durch das Wasser hatten sich die beiden Freunde Luftmatratzen mitgenommen und sie schafften es am Uferrand entlang in die Freiheit. Ein Polizeiboot der BRD fischte sie, schon ziemlich entkräftet, dort auf.

Zahlreiche Nachfragen aus dem Auditorium zeigten, dass der Bericht über die Flucht reges Interesse auch an Hintergründen, Begleitumständen und Folgen geweckt hatte. Giese erläuterte dazu, dass er als Grenzoffizier Schießbefehl hatte, aber glücklicherweise nie in die Situation kam, ihn ausführen zu müssen. Die Welt der BRD kannte er aus dem Westfernsehen – auch die Nachteile. Zudem musste er seine Familie zurücklassen, der er nichts von seinen Plänen erzählte und die, wie er wusste, anschließend Repressalien ausgesetzt war. Dafür hinterließ er ihnen all seine Ersparnisse. Sein Leben in der DDR, auch die Schule, hatte er als „normal und angenehm“ empfunden. „Aber ich wollte einfach frei sein, gehen können, wohin ich will“, so seine einfache Erklärung. „Hätte ich gewusst, dass 7 Jahre später die Mauer fällt, dann hätte ich das alles wohl nicht riskiert. Aber das ahnte ja niemand.“ Sein Leben im Westen sei ihm zunächst schwergefallen, ganz auf eigene Füße gestellt und ohne die zuvor gewohnte Unterstützung. Rasch verlor er auch den Kontakt zu seinem Freund. Aber er habe den Schritt nie bereut, im Gegenteil: Er fand Arbeit, gründete eine Familie, und „endlich konnte ich als Fan von Werder Bremen meine Mannschaft live erleben.“ Nachdenklich wurde der Referent noch einmal aufgrund der letzten Frage, ob er aus heutiger Sicht diese Flucht wieder in Angriff nehmen würde. „Wahrscheinlich nicht“, meinte er, „aber damals war ich auch jung.“

StD Thomas Carl, der Torsten Giese zu diesem Vortrag bewogen hatte, dankte dem Referenten herzlich und überreichte ihm, der Passau demnächst verlässt, einen Bildband der Stadt zur Erinnerung.

Thomas Carl